CannabisPolitik

dpa mit Anti-Cannabis-Propaganda?

Die Deutsche Presse-Agentur, kurz dpa, versteht sich als Nachrichtendienstleister, der unabhängig berichtet und bei dem Objektivität als elementares Gut der Berichterstattung im Zentrum steht. Umso erstaunter waren wir, als wir einen aktuellen „Bericht“ (u.a. hier) der dpa auf sämtlichen News-Seiten lesen mussten. Denn der Artikel mit dem wenig objektiven Titel „Cannabis kann Familien zerstören“ entpuppt sich als tendenziöse Berichterstattung, die die hehren Ziele der dpa mit Füßen tritt.

Fallgröße n=1

Der Bericht der dpa schildert das Einzelschicksal einer Familie, deren jüngster Sohn mit einer schizophrenen Psychose im Zusammenhang mit regelmäßigem Konsum von Cannabis diagnostiziert wird. Was nach einem traurigen Schicksal für eine Familie klingt, entpuppt sich im weiteren Verlauf des „Berichts“ als perfide Anti-Cannabis-Propaganda, die ihre eklatanten journalistischen Mängel nur notdürftig verdeckt.

Es beginnt schon damit, dass das Einzelschicksal von Stefan als einziger Beleg für den Titel „Cannabis kann Familien zerstören“ herhalten muss. Wann immer die Menge aller bekannten Fälle n=1 ist und damit eine extrem wacklige Datengrundlage bildet, sollte man aus Vernunft und Anstand grundsätzlich davon absehen, Generalisierungen zu machen. Erst recht, wenn man als größte Nachrichtenagentur Deutschlands enorm starken Einfluss auf die öffentliche Meinung hat.

Ungereimtheiten in der Erzählung

Es kommen aber noch weitere Mängel hinzu, die zeigen, dass es hier nicht das Ziel war, objektiv zu berichten, sondern Stimmung zu machen und die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Schon der erste Absatz zeichnet ein Bild („Stefan war fleißig und strebsam, alle Wege schienen ihm offenzustehen – die Eltern Laura und Peter Müller (Namen von der Redaktion geändert) sahen für ihren Sohn nach dem Abitur eine Karriere als Maschinenbauer voraus.“), das die Fakten offenbar nicht widerspiegelt.

So wird in einem Nebensatz erwähnt, dass Stefan keineswegs ein ambitionierter Musterschüler sein kann, sondern mit 16 Jahren noch in der 8. Klasse des Gymnasiums steckt. Das normale Alter für Achtklässler ist 14 Jahre. Auch die Diagnose von Stefan, die schizophrene Psychose, wird erst fünf (!) Absätze später genauer definiert: er „meint etwa, magersüchtig zu sein und mehr essen zu müssen“.

Das geschilderte Zittern einer Hand und das langsame Sprechen wirken in diesem Licht konstruiert und sollen wohl vor allem die negativen Wirkungen von übermäßigem Cannabiskonsum verdeutlichen, nicht etwa objektiv und kohärent das Krankheitsbild von Stefan abbilden.

Alles kann, nichts muss

Der „Bericht“ versucht sich auch nur sehr oberflächlich daran, seine These „Cannabis kann Familien zerstören“ mit Statistiken zu untermauern. So werden Prozentzahlen zu Cannabiskonsum in verschiedenen Altersgruppen genannt und eine Studie aus 2019, die nachgewiesen hat, dass die Wahrscheinlichkeit einer psychotischen Störung bei täglichem Cannabisgebrauch um das Dreifache steigen kann.

Das Problem an diesen wenigen Statistiken ist, dass keine absoluten Zahlen genannt werden. Dadurch schweben die implizierten Vergleiche (dreimal höher) im luftleeren Raum und klingen im Zweifel größer als sie letztendlich sind. Nach dem Motto: Selbst wenn die Chance nur minimal ist, KANN Cannabis die Familie zerstören. Aber sobald die Wahrscheinlichkeit, dass ein Fall X eintritt, nicht kategorisch ausgeschlossen ist, ist grundsätzlich alles möglich. Alles kann, nichts muss. So erzeugt der Bericht nur einen Eindruck: Eine tiefergehende Auseinandersetzung mit Statistiken war gar nicht gewünscht, wichtig war nur, welcher Eindruck beim unbedarften Leser entsteht.

Was sagen die Experten?

Ein objektiver Bericht sollte sich natürlich mit allen Seiten des Themas befasst und Experten auf beiden Seiten befragt haben, um die Philosophie der dpa in der Praxis abzubilden: „Unabhängigkeit von jeder staatlichen, parteipolitischen und wirtschaftlichen Interessengruppe werden das Merkmal der neuen Agentur sein“ (aus der 1. Meldung der dpa Deutsche Presse-Agentur am 1. September 1949).

Doch zu Wort kommt nur der Kinder- und Jugendarzt Wolfgang Kölfen, der mit Slogans wie „Kifft nicht eure Zukunft weg“ effektvoll zitiert wird. Es findet nicht einmal eine differenzierte Betrachtung des Begriffs „Cannabis“ statt, die Pflanzengattung wird hier beinahe synonym für den Begriff „Joint“ benutzt und eine erwachsene, moderne und objektive Auseinandersetzung mit dem vielfältigen Thema wird unmöglich gemacht.

dpa und objektiv? Hier nicht!

„Es ist ein Grundsatz des dpa-Journalismus, Fakten zu liefern und relevante Geschichten zu erzählen, die es den Lesern überlassen, ihre eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen.“ (aus: Journalistisches Selbstverständnis, https://www.dpa.com/de/unternehmen/faktencheck/#aufbau-und-redaktionelle-grundsaetze)

Der „Bericht“ schließt damit, dass die Eltern von Stefan ihre Erwartungen an ihr Kind auf ein Minimum heruntergeschraubt hätten und froh wären, wenn es ein einigermaßen selbstständiges Leben führen könne. Damit sollen nun die Folgen von übermäßigen Cannabiskonsum im Kindes- und Jugendalter den dpa-Grundsätzen entsprechend „objektiv“ dargestellt sein, so dass der Leser sich ein eigenes Bild machen kann? Wohl kaum.

Wie wir dargestellt haben, zielt der Bericht einzig und allein darauf ab, Cannabis wieder in das Licht zu rücken, in das es nach der amerikanischen Prohibition in den 30ern durch Harry J. Anslinger, teils durch falsche Anschuldigungen und Propaganda, geschoben wurde. Eine moderne und erwachsene Auseinandersetzung mit dem Thema findet nicht statt.

Ein offener Diskurs wird (bewusst?) im Keim erstickt

Um das klarzustellen: Der Konsum von Cannabis sollte verantwortungsbewusst stattfinden und für Kinder und Jugendliche gelten hier noch einmal strengere Grenzen, da die Auswirkungen bisher nur teilweise erforscht sind und es durchaus ernsthafte gesundheitliche Konsequenzen geben kann. Ziel dieses Artikels ist nicht, die Gefahren von Cannabiskonsum zu verharmlosen, sondern vielmehr geht es darum, einen objektiven, fairen und modernen Diskurs zu dem Thema zu gestalten. Ein „Bericht“ der dpa, der aus den 1930er Jahren gefallen zu sein scheint in seiner subjektiven, tendenziösen und sensationalistischen Machart ist dabei nicht nur kontraproduktiv, sondern er richtet erheblichen Schaden an.

Die Macht der dpa wurde hier bereits angerissen und der behandelte „Bericht“ erschien (oft unverändert) auf Newsseiten und meinungsbildenden Medien wie Stern oder der Bild und erreichte damit eine enorme Reichweite in der Bevölkerung. Der Artikel findet sich sogar auf der Homepage der APOLLON Hochschule, der beliebtesten Fernhochschule Deutschlands 2018 und gleichzeitig ein Teil der Stuttgarter Klett Gruppe. Wenn solche meinungsmachenden Artikel unbehelligt auf Homepages von Bildungseinrichtungen (und einem großen Verlag für Schulbücher und Lehrmaterialien!) auftauchen, liegt es nicht fern zu schlussfolgern, dass die objektive Auseinandersetzung mit dem Thema Cannabis bereits im Keim, also in den Lehranstalten, erstickt werden soll.

Ein Freundschaftsdienst für alle Cannabis-Gegner

Die dpa tritt mit diesem „Bericht“ ihre Philosophie und Ansprüche mit den Füßen und nutzt ihre enorme Machtposition im öffentlichen Diskurs schändlich aus, um Stimmung gegen Cannabis zu machen. Mit diesen schamlosen Machenschaften trägt die dpa leider dazu bei, dass Cannabis weiterhin ein politisch schwieriges Thema bleibt, obwohl wir nicht nur in Deutschland einen offenen Diskurs dringend benötigen. Eine offene Auseinandersetzung mit dem Thema wird hier ganz bewusst nicht versucht, vielmehr wird offen Partei ergriffen für alle Cannabis-Gegner.

Solange Cannabis weiterhin pauschal verteufelt wird und gewisse Stellen ihre Propaganda weiter verbreiten, wird Cannabis niemals aus dem Schatten treten können, die Forschung nicht genügend Gelder bekommen und ein ganzer Industriezweig weiterhin der Willkür der überforderten Behörden ausgeliefert sein (Stichwort Novel Food-Verordnung). Von der dpa, die sich der „Pflege der objektiven Nachricht“ verschrieben hat, hätten wir deutlich mehr erwartet.

Die dpa wirft dem modernen Cannabis-Diskurs einen Ast in die Speichen und liefert allen Cannabis-Gegnern ein gefundenes Fressen, mit dem diese ihre eigene, rückwärtsgewandte Anti-Cannabis-Agenda weiter vorantreiben können. Eine Bankrotterklärung für ein aufgeklärtes, demokratisches und modernes Land.

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